
Diese ethnologische Arbeit fragt nach den Bezügen zwischen unterschiedlich kultivierten Graden von Gewalt in kämpferischen Körperpraktiken zu alltäglicher Gewalt im zugehörigen Milieu. Sie soll zeigen, welche lokalen und globalen Chancen und Risiken kämpferische Bewegungskulturen bergen, die als solche Gewalt zugänglich machen. Hierzu werden exemplarisch zwei unterschiedliche Herangehensweisen an menschlichen Zweikampf empirischqualitativ vergleichend beforscht: die kooperativen Capoeiras und die agonalen zeitgenössischen Freikampfsysteme.
Der afrobrasilianische Tanzkampf Capoeira mit seinen vielzähligen Substilen wird als »Spiel des Angriffs und der Verteidigung« gepflegt. Zwei Spieler kommunizieren mit kämpferischen Bewegungen miteinander zu Musik und Gesang in einem Kreis. Hierbei wird der kooperative Aspekt betont. Moderne Freikampfsysteme entwickelten sich unter dem Einfluss verschiedener traditioneller Kampfkünste zu eigenständigen Schulen und Regelwerken. Sie bestimmen den jeweilig erlaubten körpertechnischen Rahmen der Konfrontation zweier Kämpfer. Hierbei steht der kompetitive Aspekt im Vordergrund. In den jeweils unterschiedlichen Kontexten alltäglicher Gewalt in Brasilien und Deutschland werden Rückschlüsse über Beziehungen zwischen diesen außeralltäglichen Praktiken und alltäglicher Prägung gezogen. Dadurch soll gezeigt werden, dass die momentan steigende Verbreitung gewalttätiger Körperpraxissysteme bestimmt wird durch ein milieuspezifisches Bedürfnis nach Gewalt, sowie durch dessen ökonomische Verwertbarkeit.
Gestützt durch die jeweilige Nachfrage breiten sich die Systeme aus lokalen Kontexten zunehmend global aus. Sie bieten stilspezifische Strategien der Körperkultivation und des Alltagsverständnisses zwischen Konfrontation und Kooperation. Ich möchte aufarbeiten, welchen spezifischen Ethos diese Systeme entwickeln und welches Auklärungs- und Bildungspotential damit verknüpft ist. Dabei werden die Bedingungen der vernetzenden weltweiten Verbreitung derartiger Körperpraktiken analysiert. Besonderes Augenmerk liegt auf der zunehmend erfolgreichen globalen Vermarktung, den professionellen Entrepreneuren und der steigenden Nachfrage. Diese wird auf einen Zusammenhang mit bewusstseinsverändernden Aspekten der Körpertechniken untersucht, die für die Strukturierung des Feldes maßgeblich erscheinen.
Kämpferische Bewegungskulturen sind »fremde« Techniken auf einem globalen Markt lokaler Reserven. Sie erscheinen als spielerische Rituale des Lernens und als stete Aktualisierung menschlicher Beziehungsfähigkeit zwischen Freund- und Feind-Sein. Welche Chancen und Risiken zu charakterlicher Bildung und gesellschaftlicher Veränderung bergen diese globalisierten Ökonomien der Gewalt?Wie beziehen sich diese Praktiken als ganzheitliche Bildungssysteme auf einen zunehmenden Prozess der Zivilisation? Wie etablieren sie sich im Spannungsfeld von »Authentizität« und »Hybridität« bzw. dem Bedürfnis nach Gewalt und Freude?