
Warum stehen 3000 Leute am Mittwoch Abend am Haus Auensee in Leipzig in der Kälte in der Schlange, obwohl sie auch vor dem Fernseher sitzen könnten? Womit kann man jugendliche Auszubildende und gut situierte Mittfünfziger gleichermaßen motivieren? Die nicht allzu offensichtliche, aber hier gut aufgehobene Antwort: Rap über Kampfsport.
Trotzdem: wer hier bepackte Muskelprotze oder prollige Schlägertypen erwartet wird enttäuscht. Kontra K mobilisiert mit seiner Tour »Labyrinth« die brave gesellschaftliche Mitte, von der in letzter Zeit soviel geredet wird. Es scheint noch nicht einmal vorrangig die Kampfsportler unter ihnen zu treffen, sondern vielmehr Menschen, die die »motivierende Kraft« seiner Lieder schätzen, sein sympathisches, authentisches Auftreten und, dass endlich jemand »die Wahrheit« erzählt, »wie das Leben eben ist«.
Kontra Ks Biographie ist bewegt: einer durchwachsenen Jugend, Aufenthalten in verschiedenen Internaten und dem frühen Kontakt mit Boxen und später Hiphop folgen Jahre, über deren Details er in Interviews lieber nicht sprechen mag. Nach Jahren auf dem Bau kommt der hart erkämpfte musikalische Aufstieg. Nur um ganz sicher zu sein, dass die schlechten Zeiten nie wieder kommen, gibt er auch das Unternehmertum mit der eigenen Firma nicht auf.
»Nicht aufzugeben« ist eines der dem Kampfsport entlehnten Leitmotive seiner musikalischen Produktion und diese werden geschätzt. Dem Publikum dient Kontra K als Beispiel, »immer weiter zu kämpfen« und »loyal« zu sein, wie man es auch mit den käuflich erwerbbaren T-Shirts bekunden kann. »Ohne Fleiß kein Preis« ist eine Mentalität, die auch die ältere Generation schätzen kann und daher gern ihren behüteten Nachwuchs auf das Konzert begleitet. Kontra K hat Vorbildwirkung, »weil die Texte einfach stimmen«.
In seiner Show gelingt es ihm, »Werte« des Kampfsports auf einen größeren Kontext zu übertragen. Kontra K »feiert Kampfsport«, wie Fan Philipp es versteht und das gibt ihm Kraft durchzuhalten, »auch wenn der Schmerz kommt«. Die Analogie funktioniert beim Skateboardfahren ebenso wie bei der Suche nach seiner »Prinzessin«. Sie »animiert zum Sport«, wie Andreas aus Magdeburg es berichtet. Er war früher Landesmeister im Boxen und findet nun leider wie viele andere auf dem Konzert wenig Zeit für Kampfsport. Motivierend heißt es aber: »allein der Ehrgeiz überschreitet Grenzen« in seinem Lieblingslied »Kampfgeist II« und diesen Ton trifft Kontra K genau. Seine Musik ist wie er selbst rüberkommt: irgendwie echt und körperbetont. Die große Wirkungsmacht seiner Worte entwickelt sich aus einer allgemein verständlichen Sprache: die Luft in seiner »Lunge«, sein Kämpfer-»Herz«, »Blut, Schweiß und Tränen« werden nur noch vom »Willen wie Granit« übertroffen und zusammengehalten.
Das Vorprogramm mit Bausa und Skinny L von DePeKa schlägt in dieselbe Kerbe. Auch hier handelt es vom Erreichen der eigenen Ziele und der Möglichkeit zu gutem Leben: »Ich hab alle meine Ängste besiegt, damit mich niemand unten hält, wenn ich flieg«. Die Kampfsportanalogie des Main Acts bringt dieses Unterfangen aber so knackig auf den Punkt, dass 3000 Menschen so laut werden, dass es ihm selbst fast von den Socken haut.
Es ist die Essenz vom »eins gegen eins«, wie es Kontra K formuliert, übrig bleibt: die Kraft wieder aufzustehen, wenn man hinfällt und die »Hoffnung«, dass die eigenen Anstrengungen, sich am Ende lohnen. Diese Hoffnung hat ihn hier auf die Bühne gebracht, sagt er: »uns ging es wirklich schlecht und ihr habt das besser gemacht«. Seine Texte ergänzen die knappen Kommentare gut:
Denn nur du stirbst zuletzt, schenkst uns den Glauben an uns selbst
Und dass Morgen alles besser wird als jetzt
Du nimmst uns die Schmerzen von heute
Du wunderschöne Hoffnung, oh du wunderschöne Hoffnung
Wenn Kontra K davon spricht, dass man »nicht vergessen soll, wo man herkommt«, bekommt der Wert »Loyalität« eine Präsenz und ein Gesicht. Es würde noch nicht einmal der T-Shirts bedürfen. Das gilt ebenso für den durchscheinenden Gedanken, dass man nicht ganz machtlos ist in dieser Welt, das »Erfolg kein Glück ist«. Der Querschnitt des Publikums kann das Verlangen nach solchen Werten und Einsichten teilen.
Für den geübten Beobachter ist die befreiende Wirkung Kontra Ks Botschaft bereits an diesem Abend abzulesen. Das Publikum wirkt am Anfang gedrängt, irgendwie steif und auf subtile Art bedrückt und gelähmt, wenn man es mit Veranstaltungen der Subkulturen vergleicht. Nur eine handvoll Leute, traut sich aus sich selbst heraus und singt die Lieder mit oder tanzt. Aber im weiteren Verlauf scheinen die Hemmungen zu schwinden, sich selbst auszudrücken. Die lähmende mitgebrachte Verzweiflung und Wut über den Zustand der Welt scheint sich langsam über den Kanal Körper zu entladen. An dieser Stelle wirkt der Künstler eher wie Schamane und Priester gleichermaßen: er leitet an, sich selbst aufzurichten und sich trotz der widrigen Umstände auf den Weg zu machen.
Die anfängliche Depression ist verständlich. Die gefühlte Wahrheit ist eben, dass »gerade viel Scheiße in der Welt passiert«, wie Kontra K es formuliert. Gute Freunde sind rar und zu viele Menschen lassen sich »hängen« oder »spielen Gangster«. Da erfreut es Publikum und den Künstler gleichermaßen, wenn wenigstens an diesem Abend »unsere Hand 3000 Finger« hat. Und er verbleibt auch nicht ohne Lösung des Problems, sondern appeliert an alle: »Wo sie scheitern, greifen wir an!« Man kann ihm von ganzem Herzen abnehmen, wenn er sagt, dass er dankbar dafür ist, diesen Gedanken weiter tragen zu können. So bleibt die Botschaft dieses Abends eine Ermutigung ans »Herz«:
Denn solang‘ es noch schlägt
Und ich noch aufrecht steh‘
Segel ich auch gegen den Wind
Auf viel zu rauer See, weil mein Herz mir erzählt, dass immer noch was geht